Hallo Johannes, ich gestehe, dass es nicht einfach ist, Literatur zu Ihrem Thema des 3. Integrations-Workshops zu finden. Wie würde ich das Thema angehen? Einige Gedankenskizzen dazu.
DEFINITIONEN: Ewiges Leben ist eine mediale Überzeichnung eines Zieles der Firma Calico, eines Joint Ventures zwischen Google und dem Biotechnologieunternehmen AbbVie. Es geht um Lebensverlängerung. Budget und beteiligte Wissenschaftler sprechen für ein sehr seriöses und ambitioniertes Vorhaben. Hinter dem Vorhaben stehen jahrtausendealte Menschheitsträume religiöser- und metaphysischer Art.
‚Ewiges Leben‘ bezeichnet einerseits den Seins-Zustand, in dem ein Lebewesen nie stirbt bzw. durch den das Leben mit dem biologischen Tod nicht endet. Im Gegensatz dazu verstand Thomas von Aquin unter Ewigem Leben nicht das unbegrenzte biologische Dasein, sondern die „höchste Steigerung des Lebendigseins in einem vollkommenen Lebens-Tun“ (Vgl. Flow ). Der erste Ansatz ist chronologischer Natur (s. Chronos), von Aquins Ansatz ist dem Griechischen Gott Kairos geschuldet. Bei ihm geht es darum, den Augenblick zu leben. Den Tag zu pflücken.
Jungbrunnen und Heiliger Gral sind Mythen menschlichen Sehnens, biologisch deutlich länger zu leben. Die Calico-Wissenschaftler suchen nach einer wissenschaftlichen Entsprechung. Nach Möglichkeiten, zum Beispiel, die endliche Anzahl von Zellteilungen bis zum biologischen Tod zu beeinflussen, zum Beispiel durch Steuerung der Verkürzung sogenannter Telomere. Der Google-Chefingenieur Ray Kurzweil ist Transhumanist und sieht in kybernetischen Erweiterungen unserer menschlichen Körper eine Möglichkeit der Lebensverlängerung. Welche Ansätze ´Ewigen Lebens´ scheinen Ihnen für Ihre Arbeit vielversprechend?
RISIKEN/ VORSORGE: Die Voraussetzungen ‚Ewigen Lebens‘ für Christen scheinen klar. Zum Beispiel keinen Reichtum. „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ Markus 10,25. Dafür gibt es allerdings keine gesicherten experimentellen Belege. Und so weit ich das überblicke, keine Versicherung im Sinne einer Risikovorsorge. Für die Lebensverlängerung durch Calico wird es ´Belege´ geben. Die statistisch ermittelte durchschnittliche Lebenserwartung. Die Lebenserwartung nach individueller genetischer- und epigenetischer Diagnose. Bei Calico geht es, soweit ich es verstehe, nicht um die Behebung genetischer Defekte zur Verlängerung von Leben, um eine durchschnittliche mitteleuropäische Lebensdauer zu erreichen. Lebensverlängerungen für den kleinen und den großen Geldbeutel? 20 Jahre, 100 Jahre oder 200 Jahre. Wie Calico et al. in Haftung nehmen, wenn die Leistungen unzureichend erbracht werden. 150 Jahre statt der vereinbarten 200 Jahre? Was machen, wenn ich meiner Lebensverlängerung bereits nach 150 Jahren überdrüssig werde? Wird es auch dafür ein ´Service-Pack´ geben? Werden Calico et al. das Angebot ´Ewiges Leben´ skalieren können, um es einer möglichst großen Anzahl an Menschen zugänglich machen zu können. Wird der Markt für Versicherungen wirtschaftlich attraktiv genug sein? Wie das vermutlich sehr komplexe Wechselspiel zwischen Gewinn und Ethik evaluieren und dessen Auswirkungen auf Marke und Image der anbietenden Versicherung?
MARKT/ ETHIK: Wer wird diese Leistungen in Anspruch nehmen können? Nur sehr Vermögende? Oder für eine Gesellschaft unverzichtbare Leistungsträger. Auf Kosten der Gemeinschaft? Was ist mit Minderleistern (Arbeitsamtterminus)? Wie wird eine Gesellschaft aussehen, in der ein relativ kleiner Anteil an Menschen ‚ewig‘ jung und schön aussehen wird und der Großteil der Menschen, zufällig an anderem Ort und zu anderer Zeit geboren, den Gesetzen der Statistik folgend, stirbt. Wie muss eine Gesellschaft organisiert sein, um mit in Folge dieser Technik auftretenden Spannungen fertig zu werden? Eine schwierige Gratwanderung zwischen wirtschaftlicher Attraktivität und sittlichem Verständnis. Für Aristoteles waren moralisches, wirtschaftliches und politisches Handeln nicht voneinander zu trennen: Wirtschaft und Ethik bildeten seinerzeit zusammen mit der Politik den Bereich der praktischen Philosophie, und hier sprach er der Ethik die Priorität zu. Allerdings waren die Verhältnisse in einem griechischen Stadtstaat der Antike überschaubarer als in einer globalisierten, hochkomplexen und hochgetakteten Wirtschaftswelt des 21. Jahrehunderts. So merkt die Basler Philosophin Annemarie Pieper an „So stehen sich Wirtschaft und Ethik zwar nicht als Feinde, aber ganz gewiss auch nicht als Freunde gegenüber. Wie können wir also Wirtschaft, Ethik und Politik in unserer heutigen Zeit zu Verbündeten in der Not machen, so dass sie nicht gegeneinander kämpfen, sondern an einem Strick ziehen?“ [1] Zum Beispiel beim Thema profitable Vermarktung von Versicherungsdienstleistungen um ‚Ewiges Leben‘ herum.
Das lieber Johannes, sind einige Anmerkungen zum Thema Ihrer Projektarbeit. Bis die Tage.
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1] Annemarie Piper, zitiert in impact – März 2001, Hg: basis – Basler Institut für Sozialforschung und Sozialplanung