Glauben Sie an Zufälle? Nein? Ich manchmal auch nicht. Können Sie sich erklären, warum unmittelbar nach der Wahl des neuen Papstes weißer Rauch aus dem medialen Kamin der Konzernzentrale des weltgrößten Versicherungskonzerns und eines der größten Finanzdienstleisters in München aufsteigt [1]? Ob der Herrgott uns ein Zeichen geben will? Im Sinne des neuen Papstes. Ein geläuterter Finanzdienstleister wirklich für die Kunden [2]. Sehet her, es ist Euch eine neue Unternehmensphilosophie gesandt. Als Verkünder in diesem Stück treten auf Paul Achleitner [3], ehemaliger Vorstand der Allianz SE, aktueller Aufsichtsrat der Deutschen Bank und Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex [4] sowie ein aktuelles Vorstandsmitglied der Allianz, Clement Booth [5].
Paul Achleitner und das Anabolika-Bild
´“Der Finanzkapitalismus auf Anabolika sorgt einfach nicht für eine gerechte Verteilung des volkswirtschaftlichen Vermögens“´, sagt John Evans, der als Generalsekretär die internationalen Gewerkschaften gegenüber der OECD vertritt auf dem letzten Weltwirtschaftsgipfel Januar 2013 in Davos.[6] Und er erhält Unterstützung von Paul Achleitner, einem der mächtigsten deutschen Manager, der seit 15 Jahren regelmäßig beim Gipfel dabei ist. Diesmal mit den Deutsche Bank-Vorständen Jain und Fitschen.
Lance Amstrongs Verständnis vom Radprofisport
Evans und Achleitner haben das Bild vermutlich aus gutem Grund aufgegriffen. Der Fall Lance Armstrong ist ein Paradebeispiel für rücksichtslose Besessenheit nach Erfolg und Anerkennung. Dazu gehört die „Bereitschaft falsch zu spielen“, “ die planvolle Spurenbeseitigung“ nach der Einnahme anaboler Steroide. Und das mit der „unverfrorenen Behauptung . . . Doping habe für die Radprofis einfach dazugehört. “ [6]
Finanzmarktprofis und Dopingmittel
Was Armstrong beschreibt, hat große Ähnlichkeit mit der Finanzmarktkrise. Eine pathologische Besessenheit von Finanzmarktakteuren [7, 11] nach Macht und Statussymbolen. Die Dopingmittel waren eine laxe Geldpolitik und billige Kredite. Hinzu kamen unverantwortliche Verkaufspraktiken von Immobilienfinanzierern in den USA. Stichworte: Subprime, Ninja-Kunden (No income no job no assets). Die Spurenbeseitigung übernahmen komplexe Finanzprodukte, zum Beispiel CDOs [8]. Substanzlose Unbedenklichkeitsbescheinigungen von Ratingagenturen und aus Kostengründen vernachlässigte Kontrollen [9] vervollständigten den volkswirtschaftlich toxischen Cocktail. Teils absurde Gratifikationen wurden als Ergebnisse von Marktkräften ausgegeben. Doch eine Kontrolle durch den Markt wurde systematisch hintergangen.
Clement Booth und die neue Unternehmensphilosophie der Allianz?
Es geht dem Allianz-Vorstand Booth nicht um die kriminelle Energie Einzelner. Viele haben – so Booth – an dem Verschuldungsspiel teilgenommen. Finanzdienstleister, Staaten, Kommunen und Privatpersonen. Zu viele blendeten das Risiko aus, dass zusätzliche Schulden Marktrisiken erhöhen. Zumal wenn alte Schulden durch neue Schulden bedient werden sollen. „Wir müssen endlich lernen, gesünder zu leben, ohne das Doping falsch gepreisten Kapitals, überzogene Verschuldung und Risikovergessenheit. Die Entwöhnung benötigt Zeit. Schließlich hat sich die Fehlentwicklung über Jahrzehnte aufgebaut.“ Unternehmen werden für nachhaltige Werte einstehen. . . . Doch gleichzeitig sollte sichergestellt sein, dass sich die Gesellschaft auf die Zuverlässigkeit und die Integrität aller Akteure einstellt.[6]“
6 Milliarden – Praxistest um falsch abgerechnete Policen!
Gut gebrüllt, Clement Booth. Dummerweise ist das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart aus dem Jahr 2011 (2 U 138/10) Anfang 2013 rechtskräftig geworden, nachdem die Allianz unter anderem gekündigte und beitragsfrei gestellte Policen falsch abgerechnet hat. Die Allianz gibt sich vor Gericht geschlagen. Wegen falsch abgerechneter Policen will sie 117 Millionen Euro zurückzahlen. Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg rechnet eher mit Ansprüchen in Höhe von sechs Milliarden Euro, die ehemalige Kunden gegenüber der Allianz zustehen. [10] Allerdings – wer Geld wiederhaben möchte, muss aktiv werden. Mit der Integrität gegenüber den Kunden scheint es bei so hohen Beträgen noch nicht ganz zu funktionieren.
High-Performer und Pathologische Organisationen
So zitiert Christian Euler in einem aktuellen Interview Nick Leeson, der 1995 an der Singapurer Terminbörse 1,4 Milliarden Dollar Verluste angehäuft hatte, welche seine Bank, Barings nicht mehr bewältigen konnte [9]. Danach sind vor allem Banken primär daran interessiert Geld zu machen. Kontrollen seien zweitrangig, denn sie kosteten Geld und schmälerten den Gewinn.
Im Rahmen einer MBA-Arbeit der Universität St. Gallen haben Thomas Nöll und Pascal Scherrer das Verhalten von 27 professionellen Tradern untersucht, die hauptsächlich bei Schweizer Banken oder bei Rohstoffhändlern oder Hedge-Fonds arbeiteten. Dabei haben sie die Daten so erhoben, dass sie mit einer bereits existierenden Studie an 24 Psychopathen und 24 „normalen“ Menschen vergleichbar waren. Die Trader haben bei einem Gefangenendilemma-Computerspiel [12] erfolgloser und destruktiver abgeschnitten als die Psychopathen. Destruktiver, weil sie den relativen Gewinn nur dadurch maximierten, dass sie den Gewinn des Spielpartners reduzierten. [11]
Wie bekommt man aus einer im ungünstigsten Fall über die vergangenen 25 Jahre [13] pathologisch gewordenen Organisation mit in Assessments ausgewählten, auf individuelle Höchstleistungen getrimmten High-Performern, eine im Sinne Achleitners und Booths geläuterte Organisation?
Und was macht das Plankton?
In Georg von Wallwitzens Buch , Odysseus und die Wiesel, Eine fröhliche Einführung in die Finanzmärkte [7], wird beschrieben, dass Trader die normalen Kunden als Plankton (altgr. πλαγκτόν ,das Umherirrende‘) beschreiben. Mikroorganismen, deren Hauptmerkmal es ist, dass ihre Schwimmrichtung von den Wasserströmungen vorgegeben wird. Das ideale Opfer von Tradern. Ich befürchte, dass man mehrjährige intensivste Konditionierungen junger Männer und Frauen nicht so leicht wieder rückgängig machen kann. High-Performance unter ständigem Adrenalinausstoß im Haifischbecken. Eine permanente Mischung von Angst zu versagen und dem Glücksgefühl erfolgreicher Trades. Und Vorgesetzte, die dieses Umfeld gezielt aufgebaut haben. Ich würde darauf wetten, dass 25 Jahre knapp sein werden, diese Fehlprogrammierung rückgängig zu machen.
Shakespearesches Resumée?
Vielleicht sind Achleitners und Booths Beschwichtigungsformeln nur „Much Ado About Nothing“. Viel Lärm um nichts in einer Komödie um gespielte Liebe zum Plankton und Intrigen mit Wettbewerbern. Vielleicht aber auch eine gut durchkalkulierte Marketingkampagne, die eine neue Wasserströmung vorzeichnen soll.
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1 ] Nach Umsatz und Marktkapitalisierung.
2] In freier Abwandlung des Verständnisses des neuen Pastes Franzikus´ „Eine arme Kirche für die Armen.“ s. Die ZEIT Online, Papst will eine „arme Kirche für die Armen.“ http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-03/papst-franziskus-kirche-arme-kardinal-lehmann-kritik ,16. März 2013, 14:03
3 ] Aufsichtsräte in DAX-Unternehmen, FTD, 01. Febraur 2012, http://www.ftd.de/unternehmen/:aufsichtsraete-in-dax-konzernen-das-netz-der-deutschland-ag/60158757.html
4 ] Gerhard Cromme war bis zum 30. Juni 2008 deren Vorsitzender und damit maßgeblich am Umbau des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts verantwortlich [Regierunskommission: Cromme gibt Corporate-Governance-Vorsitz ab [s. Wirtschaftswoche, 5. Juni 2008]. Cromme war zudem Aufsichtsrat der Allianz bis 15.08.2012.
5 ] Member of the Board of Management of Allianz SE, Global Insurance Lines & Anglo Markets. S. https://www.allianz.com/en/about_us/management/board_of_management/members.html#!cb0fff332-825d-4590-a410-db11d036fbe5
6 ] Clement Booth, Auch der Finanzmarkt muss ohne Doping auskommen, WamS, 17. März 2013, S. 12, http://www.welt.de/debatte/kommentare/article114502514/Auch-der-Finanzmarkt-muss-ohne-Doping-auskommen.html
7 ] Georg von Wallwitz, Odysseus und die Wiesel, Eine fröhliche Einführung in die Finanzmärkte, 4. Auflage, Herbst 2011; Leseprobe: http://www.berenberg-verlag.de/files/berenberg_book_770179c53615.pdf
8 ] Wikipedia,“Collateralized Debt Obligation (CDO) ist ein Überbegriff für Finanzinstrumente, die zu der Gruppe der forderungsbesicherten Wertpapiere (Asset Backed Securities) und strukturierten Kreditprodukte gehören. Von Medien und Wissenschaftlern werden die Komplexität von CDO-Produkten, die mangelnde Transparenz der Produkte, das Versagen der Ratingagenturen bei der korrekten Bewertung dieser Instrumente und die mangelnde Aufsicht der staatlichen Organe für die finanziellen Verwerfungen der Finanzkrise ab 2007 verantwortlich gemacht.“ 17.03.2013, 17:22
9 ] Christian Euler, Die Banken haben aus Fehlern nichts gelernt, WamS, 17.03.2013, S, 46
10] Kathrin Gotthold, Welt Online, 08. Januar 2013, Allianz muss Kunden Millionen Euro zurückzahlen, http://www.welt.de/finanzen/versicherungen/article112550545/Allianz-muss-Kunden-Millionen-Euro-zurueckzahlen.html
11] Thomas Nöll, Börsenskandale, 2011, Manager-Magazin online
12] Wikipedia, Das Gefangenendilemma ist ein zentraler Bestandteil der Spieltheorie. Als Beispiel: Zwei Gefangene werden verdächtigt, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Beide Gefangene werden in getrennten Räumen verhört und haben keine Möglichkeit, sich zu beraten bzw. ihr Verhalten abzustimmen. Die Höchststrafe für das Verbrechen beträgt sechs Jahre. Wenn die Gefangenen sich entscheiden zu schweigen (Kooperation), werden beide wegen kleinerer Delikte zu je zwei Jahren Haft verurteilt. Gestehen jedoch beide die Tat (Defektion), erwartet beide eine Gefängnisstrafe, wegen der Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden jedoch nicht die Höchststrafe, sondern lediglich von vier Jahren. Gesteht nur einer (Defektion) und der andere schweigt (Kooperation), bekommt der erste als Kronzeuge eine symbolische einjährige Bewährungsstrafe und der andere bekommt die Höchststrafe von sechs Jahren.
13] Der Shareholder-Value-Ansatz geht auf das im Jahr 1986 veröffentlichte Buch „Creating Shareholder Value“ von Alfred Rappaport zurück.
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