Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie konnte es zur katastrophalen Pannenserie am künftigen Hauptstadtflughafen kommen? Was kann man daraus für andere Großprojekte lernen?
Der Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ (IATA-Code BER) gilt als Deutschlands peinlichste Baustelle. Öffentlich gelästert wird über Baumängel, Planungsfehler und Entscheidungschaos. Im Mai 2012 feuert der Bauträger das Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) und reicht Klage ein. Nach monatelangem Schweigen äußert sich der international renommierte Architekt Meinhard von Gerkan im Rahmen seines sehr lesenswerten Buches “ Black Box BER“ [1] erstmals ausführlich zu den Umständen der Kündigung, den Gründen des Scheiterns und zur Frage, warum Großbauprojekte wie BER, die Hamburger Elbphilharmonie oder Stuttgart 21 es in Deutschland so schwer haben. Von Gerkan beschreibt das BER-Desaster im Kontext internationaler Großbauprojekte und beschreibt Wege aus der Krise.
In der Check-in-Halle des BER schwebt ein aus roten Aluminiumbändern geflochtener Teppich unter der Decke, ein Kunstwerk der kalifornischen Künstlerin Pae White, „The Magic Carpet“ genannt. Auf ihm, scheint es im Nachhinein, schien der Bauträger in eine verheißungsvolle Zukunft fliegen zu wollen, einem Shopping-Center mit Flughafenanschluss, dem mittels nobler gestalterischer Geste Würde und Repräsentanz verliehen werden sollte. Eine bauliche Visitenkarte für Berlin, das Land Brandenburg und den Bund. Ein Projekt, dass sich quasi von selbst finanzieren sollte. In einem herausfordernden Umfeld knapper Zeit (politischer Kalender) und knapper Kassen (hohe Verschuldung), Konzeptlosigkeit und unstillbarem Verlangen nach Geltung (Signalarchitektur für das geplant kleine, eher zu Banalarchitektur passende Budget), einer zur Skandalisierung neigenden Medienlandschaft und einem Hase und Igelspiel um Entscheidung und Verantwortung.
Ich möchte Ihnen nicht den vollständigen Genuss des Buches vorweg nehmen. Deshalb nur einen kleinen Gruß aus der Küche des Projektmanagements. Ein Amuse-Gueule gesammelter Kunstfehler und Problematiken aus der Sicht des 78-jährigen Meinhard von Gerkan [2].
Kunstfehler
1. Gesamthaftung
Bauherren wünschen sich oft das Rundum-sorglos-Paket. Deshalb nötigen sie dem Architekten die Generalplanung mit Gesamthaftung auf. Leider nicht mit ausreichendem Einfluss und den erforderlichen Steuerungsmöglichkeiten. Vielfach handelt es sich um Knebelverträge, bei denen der letzte Überlebende für alle diejenigen einstehen muss, die sich durch Insolvenz der Verantwortung entzogen haben.
2. Dem Bedarf hinterherplanen
Auch bedarfsgerechte Fehlplanung genannt. Wenn der Bedarf besteht, die Zustimmung politischer Gremien zu bekommen, wird das Budget klein gerechnet. Besteht der Bedarf nach hoher Wirtschaftlichkeit, wird z.B. der Nutzen hochgerechnet. Der Flughafen erreicht schon nach kurzer Zeit eine Auslastung von nahezu 100 Prozent.
3. Berichtswesen – bereinigte Berichte für den Aufsichtsrat
4. Verantwortung wegdelegieren
Bevor man selbst als Bauherr die Verantwortung übernimmt und eingesteht, dass man Termine nicht einhalten könne, hofft man lieber darauf, dass ein Bauamtsmitarbeiter ein halb fertiges Teilgewerk abnimmt. Der kleine Beamte wird sich schon nicht trauen, eine Milliardeninvestition auszubremsen.
5. Inbetriebnahme vor Fertigstellung
Nicht immer stimmen Eröffnungstermin und Baufertigstellung überein. Der Flughafen München wurde erst Jahre nach der Eröffnung in Teilbereichen behördlich abgenommen. Im Falle von BER ging dieser pragmatische Ansatz mehrmals gründlich daneben.
6. Nutzungsvielfalt
Bei der Finanzierung von BER spielte es eine zentrale Rolle, dass vor allem die Non-Aviation-Fläche (Shopping-Center) während des laufenden Projektes flexibel erweitert werden kann. So der spät angemeldete Wunsch eines Walk-through-Shops mit nachfolgender Einkaufsmeile. Durch die teuren Umplanungen wurde die Funktionalität des Flughafens (Aviation-Bereich, Primärfunktion des Flughafens, alles um Ankunft und Abfliegen) nicht einen Deut besser. Sie kennen sicher das Problem um den Umgang mit Change Requests im Zusammenhang mit ´harten´ Projektvorgaben (Zeit, Budget, Qualität, Funktionalität). Trotz aller Änderungswünsche muss/ soll der Termin gehalten werden.
Ich sehe im übrigen keinen großen Unterschied in der Art der Abwicklung großer Projekte zwischen großen Behörden und großen Konzernen. Sklerotische Strukturen gibt es in beiden ausreichend.
7. Pauschalierungen
Pauschalierungen sind ein wichtiges Instrument zur Vergleichbarkeit der Angebote. Ein Nachteil liegt in der Gefahr von Preismanipulationen, die einer offenen Preisfindung zuwiderlaufen. Pauschalierungen machen nur Sinn, wenn der Bauherr genau weiß, was er will. Sonst explodieren die Kosten aufgrund ständiger baubetrieblicher Störungen.
Das war meine kleine Werbeeinblendung für das vorzügliche Buch Meinhard von Gerkans. Sollten Sie das Buch über meine Lieblingsbuchhandlung ´Buch Bender´in den Quadraten Mannheims bestellen, richten Sie bitte schöne Grüße von mir aus.
Ihnen einen schönes herbstliches Sommer-Wochenende. Ihr Hartwig Maly
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1] von Gerkan, Meinhard, Black Box Berlin, Quadriga Verlag, Berlin, 2013
2] gmp plante den Flughafen Berlin-Tegel mit einem Budget von 1 Mrd. DM in 1965. Mit mittlerweile 400 Mitarbeiter an zehn Standorten weltweit war gmp für die Fertigstellung von 320 Projekten verantwortlich. Alleine in China für 75 Projekte , unter anderem das chinesische Nationalmuseum und Lingang New City für 800.000 EInwohner (ebenda s. S. 12)